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Film & Kino aktuell

Film

„Il Traditore - Als Kronzeuge gegen die Cosa Nostra”. Marco Bellocchio und das Ende des Mafia-Mythos

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Geschrieben von: Anna Grillet - Montag, 24. August 2020 um 10:34 Uhr

Altmeister Marco Bellocchio inszeniert „Il Traditore” als wuchtiges kraftvolles Mafia-Epos fern trügerischer Romantisierung. Der 80jährige Regisseur boykottiert bewusst den fiebrig schillernden Glamour im Stil von Martin Scorseses „Good Fellas” (1990) oder Sergio Leones „Es war einmal in Amerika” (1984). Sein Protagonist Don Masino, der einflussreiche Clan-Chef Tommaso Buscetta (überragend Pierfrancesco Favino), bricht 1984 das gegenüber der Cosa Nostra geleistete Schweigegelübde.

Dies ist politisch engagiertes italienisches Kino und nicht Hollywoods Traumfabrik, ein fulminantes Meisterwerk, packend, ästhetisch brillant. Es geht um Loyalität und Selbstbetrug, Gewalt und Ohnmacht. Die Realität entlarvt sich als bösartige blutige Farce. Jene bis dahin wohl gehüteten Geheimnisse der sogenannten Ehrenwerten Gesellschaft werden nun in aller Öffentlichkeit vor Gericht verhandelt.

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Film

„Wege des Lebens – The Roads Not Taken”. Sally Potter zwischen Realität und Imagination

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Geschrieben von: Anna Grillet - Montag, 03. August 2020 um 08:27 Uhr

„Wege des Lebens – The Roads Not Taken” ist ein Blick tief in das Innerste des Menschen, eine ästhetisch virtuose Exkursion durch Zeit und Raum auf den Spuren noch unentdeckter oder unbewusster paralleler Gedankenwelten. Suggestiv, voller Melancholie und schauspielerisch überragend.

Die britische Regisseurin Sally Potter schildert 24 Stunden aus dem Leben von Leo (Javier Bardem) und seiner Tochter Molly (Elle Fanning). Mit ungelenk verzweifelter Zärtlichkeit kämpft die Zweiundzwanzigjährige um den Vater, der früh an Demenz erkrankt ist. Sie versucht das ihr Unverständliche zu dechiffrieren, die Distanz zu überbrücken. Selbst wenn Leos Kopf auf ihrer Schulter ruht, ist er weit weg. Nur wo? Wir, die Zuschauer, beginnen es zu begreifen.

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Film

„Harriet”. Leinwandheldinnen in Zeiten von #MeToo

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Geschrieben von: Anna Grillet - Donnerstag, 09. Juli 2020 um 08:02 Uhr

Ihr Blick trifft uns mitten ins Herz, – ein Blick voller Zorn, Entschlossenheit, Schmerz und Trauer. Cynthia Erivo spielt die Rolle der legendären afroamerikanischen Freiheitskämpferin aus dem 19. Jahrhundert: Harriet Tubman. Sie wuchs in Maryland als Sklavin auf, flieht 1849 allein zu Fuß 100 Meilen durch Wälder und unwegsames Gelände nach Pennsylvania, gehetzt von Hunden und Sklavenjägern. Doch die politische Aktivistin kehrt immer wieder heimlich zurück in die Südstaaten, um Hunderte von Leidensgenossen über die Grenze zu schleusen.
Das berührende Bio-Pic „Harriet – Der Weg in die Freiheit” inszeniert Regisseurin Kasi Lemmons ästhetisch virtuos als Mix aus feministischem Western und intimer Charakterstudie voll alttestamentarischer Power. Die Heldin in der Tradition von Jeanne d'Arc vertraut allein auf Gott und ihre Visionen, wenn es sein muss, greift sie auch zur Waffe. Ihr Deckname lautet Moses.

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Film

„Die schönsten Jahre eines Lebens”. Claude Lelouch und das Ende der Verführung

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Geschrieben von: Anna Grillet - Donnerstag, 25. Juni 2020 um 09:07 Uhr

Mit „Die schönsten Jahre eines Lebens” kreiert Claude Lelouch eine hinreißende nostalgische Collage aus Gegenwart und Vergangenheit, Realität und Fiktion. Ein Film im Film, durchdrungen von Zärtlichkeit wie auch Ironie. Noch einmal kehren Anouk Aimée und Jean-Louis Trintignant als Liebespaar auf die Leinwand zurück.

Die Erinnerungen der Protagonisten katapultieren uns per Rückblende in den legendären Kino-Klassiker „Ein Mann und eine Frau”. 53 Jahre ist es her, dass der französische Regisseur jenes melancholische Nouvelle Vague-Epos drehte, welches die Art und Weise Lovestorys zu erzählen, revolutionierte und ihm selbst zum internationalen Durchbruch verhalf.

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Film

„Berlin Alexanderplatz”. Burhan Qurbani und der verzehrende Hunger nach Schicksal

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Geschrieben von: Anna Grillet - Donnerstag, 11. Juni 2020 um 09:32 Uhr
Berlin Alexanderplatz

Der Film „Berlin Alexanderplatz” reißt uns mit in die Abgründe seines Helden: Francis (Welket Bungué), Flüchtling aus Guinea-Bissau, fast ertrunken beim Kentern des Bootes im Meer, schwört Gott, dass er von nun an gut sein will, genauso wie Franz Biberkopf es einst tat nach vier Jahren Knast. Der Kampf um die Anständigkeit, die Suche nach sich selbst, ist verzweifelt, surreal, tragisch, aussichtslos, die Schuldgefühle oft unerträglich.

Rigoros hat Regisseur Burhan Qurbani den 1929 erschienenen Roman von Alfred Döblin neu interpretiert und bleibt doch jener legendären literarischen Vorlage eng verbunden.

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Film

„Motherless Brooklyn”. Edward Norton und die Architektur der Ausgrenzung

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Geschrieben von: Anna Grillet - Dienstag, 19. Mai 2020 um 08:26 Uhr

Edward Norton inszeniert „Motherless Brooklyn” als schwermütig poetischen Neo-Noir von trotziger Eindringlichkeit. Er verlegte die Handlung des gleichnamigen viel gerühmten Romans von Jonathan Lethem aus den Neunzigern zurück in das New York der Fünfziger Jahre: Ein schwer dechiffrierbares Puzzle aus Machtgier, Rassismus und Leidenschaft, es ist die Geburtsstunde der Gentrifizierung.
Der Regisseur spielt auch die Hauptrolle: Lionel Essrog, einen Detektiv mit Tourette-Syndrom. Dessen Stimme aus dem Off zwingt uns, Zorn, Erniedrigung, Schmach und Einsamkeit mit ihm zu teilen. So verletzlich und verwirrt er scheinen mag, Lionel ist ein Protagonist in der Tradition von Chandler und Hammett, entschlossen den Mörder seines Mentors und einzigen Freundes aufzuspüren.

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Film

„Undine”. Christian Petzold zwischen Fluch und Projektion

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Geschrieben von: Anna Grillet - Mittwoch, 06. Mai 2020 um 09:08 Uhr

Autorenfilmer Christian Petzold durchquert in „Undine” Realität und Märchenwelten. Seine Heldin verweigert sich dem Nixen-Mythos, sie kämpft um ihre Freiheit, gegen das vorbestimmte Schicksal, will sich nicht rächen, nicht töten, nicht zurück in den See. Nur was tun, wenn man am Ende selber zur Verräterin wird? Entstanden ist eine zauberhafte suggestive Lovestory, vielleicht die schönste der letzten Jahre.
Über den Umweg des französischen Impressionismus erfolgt eine vorsichtige Annäherung an die deutsche Romantik. Die Kluft zwischen Vergangenheit und Gegenwart schwindet, manchmal auch die Hoffnung auf Erlösung. Édouard Manet trifft auf Edward Hopper. Schauplatz ist Berlin, eine Stadt auf Sümpfen gebaut, die, wie der Regisseur sagt, ihre Geschichte mehr und mehr ausradiere.

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Film

„Waves” – Trey Edward Shults’ Opulenz der Emotionen

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Geschrieben von: Anna Grillet - Donnerstag, 26. März 2020 um 08:10 Uhr

Waves

„Waves” ist ein visuell waghalsiger Kraftakt, überwältigend, mitreißend, voller Zärtlichkeit, trügerischer Hoffnungen und zerborstener Träume. US-Regisseur Trey Edward Shults demontiert kühn das Konzept der Heldensagas Hollywoods: Er inszeniert sein vor Energie pulsierendes Melodram über zwei afroamerikanische Teenager als Spirale des Scheiterns und Lovestory des stillen Widerstands.
Metaphysische Sinnsuche zwischen wummernden Pop-Songs unter der flirrenden Sonne Floridas, die Kamera zieht in Höchstgeschwindigkeit ihre Kreise. Manche Filmkritiker fühlen sich an Terrence Malick erinnert, aber „Waves” ist genau das Gegenteil. Zwar hat Shults in dem Team des legendären Regisseurs gearbeitet, doch was er von dem Meister lernte, war eine eigene, unverwechselbare Sprache zu entwickeln.

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Film

„La Vérité” Hirokazu Kore-eda und der Mythos Familie

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Geschrieben von: Anna Grillet - Mittwoch, 11. März 2020 um 08:55 Uhr

„La Vérité – Leben und lügen lassen” ist Hirokazu Kore-edas erster Film außerhalb seines Heimatlandes gedreht: Eine hinreißende Hommage an das französische Kino und Catherine Deneuve.
Auch hier in Paris bleibt die Familie zentrales Thema des japanischen Regisseurs. War die Kindheit an der Seite jener gefeierten Diva eine Kette von Enttäuschungen, die Mutterrolle nur lästige Pflicht? Oder betrügen uns die Erinnerungen? Mit subtiler Finesse inszeniert Kore-eda ästhetisch virtuos ein schillerndes Beziehungsgeflecht vermeintlicher Abgründe und verborgener Sehnsüchte zwischen Ironie, Trauer und Poesie.

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Film

„Emma.” Autumn de Wilde und die pastellfarbene Einsamkeit

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Geschrieben von: Anna Grillet - Donnerstag, 05. März 2020 um 09:16 Uhr

Emma

Mit „Emma.” kreiert Regisseurin Autumn de Wilde, bekannt durch Musikvideos für Künstler wie Florence + the Machine, einen wundervollen visuellen Kosmos, der in seiner ironischen bizarren Eindringlichkeit an Wes Anderson erinnert.
Die US-amerikanische Filmemacherin und ihre neuseeländische Drehbuchautorin Eleanor Catton behalten die altmodisch geschliffenen Dialoge des Romans von Jane Austen bei, aber sie eröffnen völlig neue Perspektiven auf die umschwärmte Anti-Heldin. Irgendwo steckt in uns allen etwas von Emmas boshafter Arroganz, -davon ist de Wilde überzeugt. Die romantische Komödie mutiert zum schillernden Psychogramm der Widersprüche. Ein exquisit choreographierter Satire-Mix aus Slapstick, Leidenschaft, Pathos und Tragik.

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Film

„The Gentlemen”. Guy Ritchie und die Akribie des Skurrilen

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Geschrieben von: Anna Grillet - Donnerstag, 20. Februar 2020 um 09:38 Uhr
The Gentlemen

Mit „The Gentlemen”, einem raffiniert schrägen Film-im-Film kehrt Guy Ritchie zurück zu seinen Wurzeln: Absurde, herrlich bösartige Gangsterkomödien wie „Snatch” und “Bube, Dame, König, grAs” hatten den rebellischen Tausendsassa einst berühmt gemacht.
Der Regisseur aus Hatfield galt als britischer Tarantino. Mit seinen brillant bizarren, voluminösen Wortgefechten, ob im Cockney Slang oder selbstgefälliger Upper Class Tonart, stellt er nun wieder die Verbrecher-Welt auf den Kopf. Voller Nostalgie schwelgt Ritchie in den Referenzen der eigenen Werke und teilt gehässige Seitenhiebe an die Kollegen aus. Er weiß, seine Kunst der Verfremdung, der lakonisch doppelbödige schwarze Humor, hat sich längst zum unverwechselbaren eigenständigen Gangster-Genre entwickelt.

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Film

„Bombshell”- Leinwandheldinnen in Zeiten von #MeToo

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Geschrieben von: Anna Grillet - Donnerstag, 13. Februar 2020 um 09:08 Uhr
Bombshell

In „Bombshell - Das Ende des Schweigens” rekonstruiert Regisseur Jay Roach den Missbrauchsskandal beim rechtskonservativen US-Sender Fox News. Ein brisantes Thema, eine hochkarätige Besetzung und doch kann der Film nicht wirklich überzeugen, ihm fehlt es an Schärfe, Konsequenz, er bleibt ein smartes Hollywood-Hybrid aus Biopic und Soap, will seine Heldinnen nicht brüskieren.
Die sexuellen Übergriffe des machtgierigen Medienmanagers, Roger Ailes, sorgten 2016 weltweit für Schlagzeilen. Aber mit ihm plötzlich als Person auf der Leinwand konfrontiert zu werden, lässt den Zuschauer erst das volle Ausmaß von Ohnmacht, Wut, Angst, Ekel und Verzweiflung der Frauen begreifen. Welchen ungeheuren Mut brauchte es, sich gegen den einflussreichsten Medienkonzern des Landes aufzulehnen.

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Film

„Intrige”. Roman Polański und das Recht auf Genie

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Geschrieben von: Anna Grillet - Freitag, 07. Februar 2020 um 09:11 Uhr
Intrige Roman Polanski Film

Roman Polański inszeniert „Intrige” als Spurensuche nach der verlorenen Wahrheit. Ästhetisch virtuos und akribisch rekonstruiert. Die Dreyfus-Affäre wird zum fesselnden historischen Politthriller, beobachtet aus kühl distanzierter Perspektive. Die Gesellschaft der Belle Epoque droht im Sumpf des Antisemitismus zu versinken, selbst unser heldenhafter Kämpfer um die Gerechtigkeit ist infiziert davon. Der 86jährige Regisseur zeigt die Welt mit ihren Widersprüchen und Abgründen.
Der Film wurde mit dem Silbernen Löwen ausgezeichnet und für zwölf Césars nominiert. Die Aktivistinnen der MeToo Bewegung aber riefen in Frankreich wegen der sexuellen Missbrauchsvorwürfe zum Boykott auf, sie vertreten vehement die Überzeugung, Kunst lässt sich nicht von der Person des Künstlers trennen.

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Film

„1917” – Sam Mendes zwischen Realitätsanspruch und Illusion

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Geschrieben von: Anna Grillet - Dienstag, 28. Januar 2020 um 08:43 Uhr

1917 Film Sam Mendes

Mit zehn Nominierungen avanciert Sam Mendes’ Kriegsepos „1917” zum Favoriten der Oscar-Verleihung. Selten priesen die Feuilletonisten ein Werk so einhellig wie diesen surrealen bildgewaltigen Wettlauf zweier junger britischer Soldaten gegen die Zeit. Es gilt die Kameraden zu retten, den eigenen Bruder. Der Film soll berühren, erschüttern. Er gleitet dahin durch Schützengräben und Niemandsland, durch Schrecken, Tod und Tränen, als wäre er in einer einzigen Einstellung gedreht fast ohne Schnitt.
Vielleicht verkörpert „1917” jene trotzige Sehnsucht des Menschen nach Unschuld in einer tief verunsicherten Welt voller Gewalt, doch ist der künstlerische Machtanspruch des Regisseurs verstörend, ja beunruhigend. Der Wahnsinn eines Krieges, der für die nächsten hundert Jahre den Verlauf unserer Geschichte beeinflusste, wird reduziert auf Stunden der Illusion und des Gehorsams.

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